E. Liechti u.a.: Die Geschichte der Schifffahrt auf dem Thuner- und Brienzersee

Cover
Titel
Die Geschichte der Schifffahrt auf dem Thuner- und Brienzersee.


Autor(en)
Meister, Jürg; Liechti, Erich
Erschienen
Thun/Gwatt 2021: Werd & Weber Verlag AG
Anzahl Seiten
503 S.
Preis
CHF 59.00
von
Christoph Zürcher

Der gewichtige Band (2,4 kg) enthält alles, was sich Schifffahrtsfans wünschen: wunderschöne aussagekräftige Bilder der 45 Thuner- und Brienzerseeschiffe, die dem öffentlichen Verkehr dienten und dienen, mit exakten technischen Beschreibungen, einer akribischen Zusammenstellung aller Veränderungen vom Bau bis zur Ausserdienststellung und einer Fülle von Planmaterial.

Das Werk hat seine Vorläufer, der erste ist die Publikation von Claude Jeanmaire Mit Kohle, Dampf und Schaufelrädern von 1971. Die beiden Autoren des hier zu besprechenden Werks firmierten damals bereits als Mitarbeiter. Claude Jeanmaire schreibt in der Einleitung: «Das Studium dieses so faszinierenden Themas ist nicht ganz einfach, da ausser unwesentlichen Dokumenten nur noch wenige wichtige Originalunterlagen vorhanden sind.» Und: «Der Autor hofft, ein Stück technischer Romantik […] in diesem Buch festhalten zu können. Wenn ausserdem wenigstens noch auf jedem der beiden Oberländer Seen ein altes Dampfschiff mit Seitenradantrieb mit den heutigen Mitteln der Technik erhalten bleiben kann, dann könnte diese Romantik von vielen Touristen auch weiterhin erlebt werden.»

Das Jahr 1971 markiert den Höhepunkt des Dampfersterbens auf den Schweizer Seen. Der letzte Thunerseedampfer, die «Blümlisalp», wird stillgelegt. Die Dampfschiffe «Stadt Bern», «Helvetia», «Beatus» und «Bubenberg» waren zwischen 1956 und 1964 abgewrackt, der Schraubendampfer «Spiez» 1952 verdieselt worden. Wendepunkt war die Ausserdienststellung der «Wilhelm Tell» auf dem Vierwaldstättersee, die eine Protestwelle auslöste und 1972 zur Gründung des Vereins Dampferfreunde Vierwaldstättersee führte. Seither wurde in der Schweiz kein Dampfschiff mehr verschrottet.

Die hier vorzustellende Publikation erschien im September 2021, also fast auf den Monat genau fünfzig Jahre nach der Stilllegung der «Blümlisalp». Welch ein Wandel in diesen fünfzig Jahren! Die «Lötschberg» und die «Blümlisalp» stehen im Linienverkehr der BLS und unter Denkmalschutz, der revaporisierte Schraubendampfer «Spiez» ist bereit für die zweite Jungfernfahrt. Schweizweit das gleiche Bild: Im Mai 2021 lief auf dem Vierwaldstättersee die «Stadt Luzern» wieder aus, renoviert für 13 Millionen Franken und ebenfalls unter Denkmalschutz gestellt.

Welch ein Wandel auch in der Behandlung des faszinierenden Themas. Das Team Liechti-Meister (damals noch mit Joseph Gwerder) gab schon 1986 (2. Aufage 2002, stark überarbeitet und ergänzt) eine Publikation heraus, ebenfalls unter dem Titel Die Geschichte der Schifffahrt auf dem Thuner- und Brienzersee.

Eindrücklich ist, was seit 1986 an neuem Material zusammengekommen ist. Das wurde erstens möglich durch das gewachsene Interesse an Technikgeschichte – die Archive von Sulzer und Escher-Wyss wurden aufgearbeitet. Vieles ist heute im Bundesarchiv, im ETH-Archiv, im Staatsarchiv Bern und auch in kleineren Archiven zu finden. Auch die BLS pflegt ihr historisches Erbe in der Sammlung BLS Historic.

Zweitens trugen private Sammler Namhaftes zum Bildfundus bei. Es brauchte wohl viel Detektivarbeit, um alle die dokumentarischen Kostbarkeiten aufzuspüren, die der Prachtband darbietet. Hervorgehoben seien etwa die einmaligen Farbaufnahmen des New Yorker Ingenieurs Conrad Milster, der im Juli 1962 eine Fahrt mit der «Beatus» dokumentierte. Aus der reichen Auswahl an Bildmaterial wurden die besten und aussagekräftigsten Bilder in dieser neuen Publikation vereint. Verständlich, aber bedauerlich, dass zahlreiche Bilder der drei Vorgängerpublikationen keinen Platz mehr fanden. Womit zugleich gesagt ist, dass die vorliegende Publikation die Vorgängerwerke nicht überflüssig macht, sondern grossartig ergänzt.

Interessant sind die präzisen Belege für die Farbgebung der Dampfer. Diese Forschungen haben sich im heutigen Erscheinungsbild der «Blümlisalp» und der «Lötschberg» niedergeschlagen.

Lag in den Vorgängerbänden das Gewicht ganz auf den repräsentativen Aussenaufnahmen der Schiffe, so werden im neuen Band auch Innenaufnahmen präsentiert, die wesentlich seltener sind – auf Postkarten tauchen sie nie auf –, die aber die von den damaligen Dampferpassagieren erlebte Stimmung gut dokumentieren. Technisch interessant sind seltene Aufnahmen der Maschinenräume.

Während die Publikation von Jeanmaire 1971 noch ganz auf die Dampf- und Kohlenromantik fokussierte, werden in der jüngsten Publikation die Motorschiffe gleichwertig behandelt. Die modernen Schiffsbauten spiegeln die Geschmacksrichtungen der 1950er- und 1970er-Jahre und überzeugen zum grossen Teil mit elegantem Design. Die BLS liess es sich angelegen sein, die neuen Motorschiffe mit qualitativ hochwertigem Bildschmuck zu versehen, etwa von Albert Lindegger (Lindi), Fred Stauffer (Bern) oder vom Heraldiker Paul Boesch. Wenig künstlerischen Geschmack bewies die BLS allerdings mit der Bemalung der «Jungfrau» im Swiss-Pop-Design mit Enzian, Alpenrose und Edelweiss und einem Salon mit urig-alpinem Holz-Touch.

Die Dokumentation der «modernen» Schiffe kommt zur richtigen Zeit. Das 1939 erbaute Motorschiff «Thun», erstes Grossmotorschiff auf dem Thunersee und gleichzeitig letzter Schiffsbau von Escher-Wyss, wurde 1995 abgebrochen – vom denkmalpflegerischen Standpunkt aus ein Verlust.

Den Schiffsbiografen vorangestellt ist ein «Geschichtlicher Abriss der Schifffahrt auf dem Thuner- und Brienzersee» (S. 14–21). Weiter hinten findet sich ein Kapitel über die Entwicklung der Ländten (S. 324–329). Ausgehend von der Gewichtung der verschiedenen Teile des Buches wäre die Frage zu stellen, ob der Titel nicht zutreffender Die Geschichte der Schiffsbauten auf dem Thuner- und Brienzersee lauten würde. Der historische Aspekt der Schifffahrt auf den Oberländer Seen kommt zu kurz. Da wären spannende Fragen zu beantworten, etwa nach der Herkunft des Kapitals der diversen Schifffahrtsgesellschaften oder zur Interaktion zwischen Tourismus und Schifffahrtsentwicklung und zur Verfechtung zwischen den Bahngesellschaften und den Schifffahrtsgesellschaften des Oberlandes. Wann, wie und warum erfolgte der Wandel von der privatwirtschaftlich organisierten Ganzjahresschifffahrt zur öffentlich subventionierten touristischen Saisonschifffahrt? Da wäre auch an das «Dampfergesetz» von 1992 zu erinnern, das durch eine Volksinitiative zustande kam. Es wurde zwar schon 1998 wieder aufgehoben, zeigte aber, wie hochpolitisch die Frage der Erhaltung der «Blümlisalp» und der «Lötschberg» geworden war.

Diese Hinweise zur Schifffahrtsgeschichte sollen keine Kritik sein, sondern den Wunsch verdeutlichen, dass eine nächste Publikation des erfolgreichen Autorenteams diese Fragen vertieft behandeln könnte. Kritik verdient einzig das schludrige Verlagslektorat. Es gibt zu viele Druckfehler. Das schöne Werk hätte mehr Sorgfalt verdient.

Zitierweise:
Christoph Zürcher: Rezension zu: Liechti, Erich; Meister, Jürg: Die Geschichte der Schifffahrt auf dem Thuner- und Brienzersee. Thun/Gwatt: Werd & Weber 2021. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 84 Nr. 2, 2022, S. 47-50.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 84 Nr. 2, 2022, S. 47-50.

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